Unser Treck nach dem Westen!

Erinnerung an das schwere Jahr 1945

Ob alles man Dir raube, verzage nicht und glaube!

Heimatlied!

Wo der Oderstrom das flache Land durchquert, Wo drauf stolz so mancher Oderschiffer fährt,

Wo der Menschen Sprache uns so heimisch klingt, Da ist meine Heimat, der mein Sehnen gilt!

Wo die Winde über Schlesiens Berge wehn, Wo die Koppe und der alte Zoppten stehn,

Wo die Welt im Krieg noch wie im Frieden schien, Da ist meine Heimat, von ihr musst ich flieh´n!

Wo halb leer die alte Festung Glogau steht, Und drüber jetzt die fremde Flagge weht,

Wo die Sonne über verlass´ne Dörfer scheint, Da ist meine Heimat, da war ich Daheim!

Einmal kommt der Tag, wo wir uns wiederseh´n, Und am schönen Oderstrom spazieren gehn, Dann ist alles Heimweh, alles Leid gestillt, Schlesien, meiner Sehnsucht aller schönstes Bild!

gesungen auf die Melodie „Oberschlesien ist mein liebes Heimatland“

Immer, wenn Du denkst,

es geht nicht mehr, kommt von irgendwo

ein Lichtschein her, dass Du es noch einmal zwingst, und von Sonnenschein

und Freude singst, Leichter trägst des Alltags harte Last, und wieder Kraft und Mut

und Glauben hast.

Unser Treck ins Sachsenland!

21.01.1945

Es war Sonntag, da kam die Parole, dass alle Straßen wegen der Glätte mit Sand gestreut werden müssen.

Wir nahmen an, wegen Truppenverschiebungen. Denn der Russe drang im Osten unserer schlesischen Heimatgrenze immer näher.

Oft wurde sogar gemunkelt, wir müssten vielleicht Schlesien für eine Zeit räumen. Wer aber glaubte denn so etwas?

Wir vertrauten doch alle unseren tapferen Soldaten, die schon sechs Jahre draußen für uns gekämpft, glaubten, der Führer findet schon noch einen Ausweg, der alles zu einem guten Ende führt.

Am Nachmittag fuhren schon sehr viele Autos, die Mütter mit ihren Säuglingen und alte Leute weg brachten, bei uns vorbei.

Gern hätte man gefragt, wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin, wie weit ist der Russe schon, ist die Lage wirklich schon so ernst? Aber alles ging so unsagbar schnell.

Am Abend saßen wir alle noch mal gemütlich in unserer Wohnstube beisammen.

Elli Wenzel war bei uns und wir machten Handarbeiten. Papa las Zeitung. Aber komisch, wir waren alle so still. Es war, als liege etwas Furchtbares in der Luft.

Um 21 Uhr hörten wir dann mit einem mal unheimliches Wagenrollen.

Elli und ich liefen sofort an die Straße. Ein unsagbar schmerzliches Bild bot sich uns entgegen.

Es waren die ersten Flüchtlinge aus Lissen.

Es rollte Wagen an Wagen an uns vorüber. Die Räder knirschten bei dem Frost, die Pferde schnauften vor Anstrengung. Hatten sie doch eine ziemliche Last zu ziehen.

Kinder weinten, auf dem Wagen lagen zusammen gekauert alte Leute, schon halb erfroren. Hatten sie doch keinerlei Schutz gegen die Kälte.

Alles was laufen konnte, lief hinter dem Wagen her.

Ich wollte ihnen etwas sagen, oder fragen. Aber die Kehle war mir wie zugeschnürt. Wir waren erschüttert und zitterten am ganzen Körper.

Die ersten Wagen fuhren weiter und verteilten sich nach Carolath, Reinberg und Schönaich. Die letzten Wagen hielten bei uns in Rosenthal und wollten das erste Nachtlager beziehen. Elli und ich liefen nun schnell ins Dorf und halfen Quartier machen. Es dauerte lange, bis die vielen Gespanne richtig untergebracht waren.

Schlafen konnte wohl Keiner in dieser Nacht. Jeder dachte wohl nur das Eine, was werden uns die nächsten Tage bringen.

Viele werden wohl gebetet haben.

„Herr Gott schütze uns und unsere Heimat!“

22.01.1945

Am nächsten Morgen fuhren die Flüchtlinge aus Lissen sofort weiter. Sie wollten vor allem erst einmal über die Oder. Ihr Ziel war vorerst der Kreis Sprottau.

Wir packten nun im Laufe des Tages schon einige Wertsachen zusammen. Am Nachmittag kam Herr Dittrich und sagte uns, dass vorsichtshalber die Pferde beschlagen und die Wagen fertig gemacht werden müssten.

Am Abend bekamen wir wieder Flüchtlinge aus Litzmannstadt.

Wir gingen heute etwas zeitiger zu Bett. Waren nach den ganzen Aufregungen alle recht müde. Wir schliefen alle zusammen in einem Zimmer, da wir die Anderen den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt hatten.

Papa sagte noch, als wir alle schon im Bett lagen, „Kinder, es ist heute Abend eine unheimliche Ruhe, hoffentlich nicht die Ruhe vor dem Sturm! Kuschelt euch nur noch mal richtig in euerm schönen Bett, vielleicht liegen wir das letzte Mal drin!“ Wir schauderten zusammen, dachten wir an die Kälte draußen. Trotz Allem schliefen wir alle recht bald ein. Aber wie lange. –

Um 24 Uhr klopfte Günther Becker stürmisch an unser Fenster, „sofort aufstehen, alles fertig machen, um 5 Uhr muss der Treck stehen und das Dorf verlassen. Alle Geschirrführer zum Bürgermeister!“

Wie uns in diesem Moment zumute war, kann man wohl nicht schreiben oder schildern. Denn Haus und Hof, ja sogar die Heimat verlassen, kann wohl nur der ermessen, wer selbst schon mal gleiches oder ähnliches Schicksal erlitten hat.

23.01.1945

Wir stürzten nun alle wie gelähmt aus den Betten. Mama saß willenlos auf dem Bett. Gerdel weinte „wir wollen zu Hause bleiben“. Ich rannte von einem Zimmer ins Andere und wusste wohl selbst nicht recht, was ich nun einpacken solle.

Als Papa aus dem Dorf kam, brachte er gleich unseren Franzosen, Lois, mit. Er machte uns nun in der Nacht noch ein Dach auf unseren Wagen.

Wir bekamen nun auch noch Frau Sander mit ihren zehn Kindern, zum Mitnehmen, zugeteilt. Lois packte nun den Wagen, die Hälfte für Frau Sander, die Andere für uns. Es durfte nun auch nichts vergessen werden. Vor allem genügend Pferdefutter. Was war das doch für ein aufgeregtes Laufen hin und her. Unser Nelli fing auch noch unheimlich an zu jaulen. Grad, als wolle er fragen, „und was wird nun aus mir?“

Wir waren nun schon etwas vor 5 Uhr fertig mit packen. Noch viele Kartons hatte ich gepackt, aber es ging beim besten Willen nichts mehr auf den Wagen. Also musste es zurück bleiben. Wie tat mir unser schönes Geschirr leid, sollten wir das nun alles so stehen lassen? Da half mir Lois noch schnell ein Loch buddeln, packten alles in eine Holzkiste und vergruben es. Welch liebes Andenken, von dem man sich sonst hätte schlecht trennen können, vergrub man in der Erde. Werden wir es wohl mal wiedersehen?

Nun war es 5 Uhr, die Pferde waren angespannt. Mit viel Weinen, die Kinder auf dem Wagen verstaut. Es war stockfinster und fing an zu schneien.

Papa nahm die Pferde, nun hieß es tapfer sein und die Zähne aufeinander beißen. Als wir zum Tor hinaus fuhren, war wohl unser aller heißer Wunsch und Hoffnung, hoffentlich fahren wir recht bald wieder hier herein.

Ich ging nun erst zu Fuß mit ins Dorf. Wollte erst später mit dem Rade nachfahren. Bei Kirschkes an der Kreuzung warteten wir noch eine Weile, denn es stockte doch noch überall. Es blitzten Laternen auf, Einer rief nach dem, der Andere wieder nach Jenem. Dann fuhren wieder zwei Wagen zusammen. Aber nun fuhr der erste Wagen ab, die anderen folgten nach und nach. Wie viele liefen nach einer Zeit noch hinterher. Ich ging nun noch einmal durch unser Dorf.

Doch ich beschleunigte von allein meinen Schritt. Wie sonderbar es war, alle Höfe so verlassen. Das Licht brannte bei allen noch. Die Kühe brüllten fast überall.

Ich ging nun noch mal bei uns ins Haus. Ach, wie sah es hier aus. –

Unmöglich konnte ich alles so liegen lassen. Da räumte ich das Gröbste noch zusammen, machte mein Rad fertig, und auch ich konnte abfahren. Denn was sollte ich nun auch noch allein? Zum letzten Mal ging ich nun durch alle Zimmer, strich hier und da über einen lieben Gegenstand.

Am längsten habe ich wohl in meinem Zimmer gestanden. Es war fast alles noch so, wie ich die letzte Zeit darin gewohnt habe. Mein Blick blieb an meinen Büchern haften. Sie alle so zurück lassen, war mir schmerzlich. Kurz fiel mein Blick auf „Vogt Bartold“ Der Große Zug nach dem Osten.

Wir sollten nun nach dem Westen. –

Nun ging ich noch mal in die Ställe, um auch da Abschied zu nehmen. Lois fütterte noch mal, er machte es mit seiner ruhigen Art wie früher. In der Nacht hatten wir noch ein kleines Kälbchen bekommen.

Es sprang munter im Stall umher. Wie ich das unschuldige Vieh so ruhig fressen sah, keiner wird sich nun mehr um uns kümmern, keiner melken. Da war es mit einem Mal mit meiner Tapferkeit vorbei.

Da kam Lois und wollte mir Lebewohl sagen. Er gab mir zum ersten Mal die Hand, auch er hatte Tränen in den Augen und sagte mir: „Elli Du nicht weinen.“ Da nahm ich mein Rad und fuhr vom Hof, – von unserem geliebten Hof! –

Kurz vor Reinberg sah ich schon von Weitem den ersten Unfall. Frau Kirschke war mit ihrem Wagen in den Graben gefahren. Alle Habseligkeiten lagen auf dem Felde verstreut. Auch Frau Sander, die mit ihrem drei Wochen altem Säugling auf dem Wagen gesessen hatte, war hinunter geschleudert worden. Sie weinte, denn ihr taten die Arme weh, da nahm ich ihr das Kind ab, und bald hatten wir unseren Wagen wieder eingeholt.

Am Reinberger Berg war nun die erste Große Stockung. Von Hohenborau her kamen lange Trecks. Auch der Carolather Oderberg war furchtbar glatt. Mit Hilfe von Stangen konnten wir glücklich hinunter. Von oben schneite es noch immer. Um 15 Uhr waren wir erst auf der Teerstraße Carolath – Leuthen. Dort war es so glatt, dass die Pferde öfter hinstürzten und sogar einige Wagen die Böschung hinunter rutschten. Wieder hatten wir längeren Aufenthalt. Zum letzten Mal grüßte uns das Renaissanceschloss Carolath. Wie stolz waren wir doch alle darauf. Und war es nicht auch der Mittelpunkt in der bekannten Fliederblühte! Um 16 Uhr ging es dann über die Oderbrücke, ein unendlich langer Treck aus dem Warthegau kam von Lindenkranz her und wollte ebenfalls zu der gleichen Zeit über die Oder. Da ließ die Wehrmacht immer 10 Wagen vom Warthegauer Treck und 10 Wagen von uns hinüber. In Beuthen bekamen wir den ersten heißen Kaffee vom Roten Kreuz.

Nun ging es weiter, wenn auch mit Stockungen, aber doch viel besser, als am Vormittag. Wir führen durch die Dörfer Neumühle, Nettschütz in Richtung Großenborau.

Es wurde die ganze Nacht hindurch gefahren. Rechts und links der dunkle Wald, laufend kam die Wehrmacht mit ihren großen LKW´s an uns vorüber. Das war jedes Mal eine Angst, denn durch den hohen Schnee war nur eine Spur.

24.01.1945

Die Nacht um 3 Uhr kamen wir in Großenborau an. Hier lag das Dorf in guter Ruh. Nun wurde ein Nachtlager gesucht, wir wurden bei Paul Becker aufgenommen, unsere Pferde waren wieder woanders. Nebenan war Frau Sander untergebracht, als sie ihr Kind auswickelte, war es tot.

Es war nun die erste Nacht in der Fremde, wir schliefen in der Küche auf Stroh. Adolf und Gerda bekamen die Nacht hohes Fieber. Den nächsten Tag sollte es gleich wieder weiter gehen. Aber Mensch und Tiere waren überanstrengt und es wurde ein Tag ausgesetzt. Der Carolather Treck lag auch in dem Dorf und fuhr weiter, dadurch kamen wir mit unserer Ortsgruppe auseinander. Es war auch ganz gut so, denn ein kleinerer Treck bekam doch viel eher ein Nachtquartier. Am 24. kam auch unser Nachbardorf Lindenkranz. Frau Dittrich wurde mit bei uns untergebracht.

Am Abend besuchte mich meine Freundin aus der Landwirtschaftsschule Liesel Dupke. Die Freude und das Wiedersehen war groß. Sie war mit dem Rad von ihrem Lehrgut geflüchtet und fand in Großenborau ihre Eltern. Was für Pläne haben wir immer in der Schule geschmiedet.

Nun hat es das Schicksal anders gewollt. Über Nacht waren wir heimatlos geworden. Aber wir hofften doch, dass dieser Zustand nur ein Vorübergehender sei.

Ein letzter Händedruck und hoffentlich sehen wir uns mal wieder, so ging Liesel von mir. 25.01.1945

Wurde wieder aufgebrochen. Schon als wir aus dem Dorf raus wollten, war die erste Stockung wieder da, denn die Wehrmacht wollte doch erst vorbei. Aber nach einer Stunde rollten unsere Wagen wieder. Es ging nun schon fast ohne Störungen vorwärts, denn die einzelnen Trecks waren auf den Straßen verteilt. Dafür sorgten auch schon die Treckleitstellen. Es lief nun jeder hinter seinem Gespann hinterher. Frauen schoben zum Teil Kinderwagen. Die Kinder tummelten im Schnee umher. Ihnen gefiel das Leben wohl ganz gut, denn sie sahen dies alles wohl mehr als einen interessanten Ausflug mit ihren Eltern an.

Wir fuhren nun wieder bis zum Abend und machten in Etzdorf halt. Auch hier war unser Nachtlager wieder auf Stroh, einen Stuhl bot man uns gar nicht erst an. Das merkten wir aber kaum, denn all unsere Gedanken waren doch noch zu Haus. Am liebsten wären wir wohl alle wieder nach Haus gelaufen.

26.01.1945

Am nächsten Tag blieben wir noch in Etzdorf. Wir wurden vom Nachbargut eingeladen, den Tag bei ihnen zu verbringen. Familie Adolf Fröhlich war dort untergebracht. Diese hatten noch ein fettes Kaninchen von zu Hause mitgebracht. Das wurde schön gebraten und zusammen verspeist. Wir waren alle zu einer großen Gemeinschaft geworden, hat uns doch alle das gleiche Los betroffen.

27.01.1945

Am 27. wurde wieder aufgebrochen. Wenn man sich so die lange Reihe an Wagen ansah, musste man unwillkürlich an die Völkerwanderung denken. Wer hatte wohl damals, als wir davon in der Schule lernten und Bilder sahen, daran gedacht, dass auch wir einmal mit ein paar Habseligkeiten auf dem Wagen, halb durch Deutschland ziehen müssen.

In Halbau auf dem Marktplatz hielten wir, es war Sonnabend. Die Wagen wurden alle nebeneinander auf dem Marktplatz aufgefahren. Es wurden von der Stadt Nachtwachen gestellt. Halbau lag sehr voll mit englischen Kriegsgefangenen, die in der Kirche nächtigten. Auch sie sollten weiter nach dem Westen gebracht werden.

Wir bekamen ein Nachtquartier, direkt am Markt, bei einem Fleischermeister. Wir sollten auch, wie alle, Sonntag haben und setzten wieder einen Tag aus.

28.01.1945

Der erste Sonntag, fern von daheim. War das denn eigentlich ein Sonntag? Hat dieses Wort sonst nicht immer etwas feierliches an sich? Alle, die wir nun auf der Straße lagen, hatten doch unser schönes Heim. Kuchen hatten wir noch aus Rosenthal, der schmeckte uns allen noch mal recht gut.

29.01.1945

Unser Ziel war Freiwaldau. Dort sollte vorerst unser Endziel sein. Wir trafen hier unsere Ortsgruppe, die uns ein paar Tage voraus war, wieder. Alles war hier schon voll und es dauerte ein paar Stunden, ehe wir eine Unterkunft fanden. Aber wir haben es sehr gut getroffen. Wir wurden von einer jungen Frau, deren Mann gefallen war, sehr nett aufgenommen. Hier konnten wir wieder mal ein paar Tage als Mensch leben, in sauber weißen Betten schlafen. Wir kochten und luden uns Frau Tschacher ein. Diese liebe, einfache Frau hatten wir alle recht in unser Herz geschlossen.

Meine beste Freundin Lottel Sieber aus Carolath traf ich hier endlich wieder. Wir kamen nun öfters zusammen. Wenn man so in der Stadt ging, kam es einem gar nicht fremd vor, denn überall sah man bekannte Gesichter. Sonst war die Ortsgruppe in mehrere Dörfer aufgeteilt

und nun war alles in einer kleinen Stadt. Es ist auch kaum zu glauben, dass ganze Dörfer geschlossen auswandern mussten.

Unser Aufenthalt in Freiwaldau sollte aber auch nicht länger dauern. Denn schon wieder kam die Parole zum Aufbruch. Der Russe drang immer weiter vor. Gerne wären wir in Freiwaldau geblieben, denn unsere Heimat war ja nicht so weit entfernt.

Am Abend vor unserer Weiterfahrt feierten wir noch mit Frau Tschacher Abschied. Ein Kuchen wurde am Nachmittag schon gebacken, eine heimatliche Flasche Wein musste dran glauben. Pudding und Plätzchen lieferte unsere Wirtin. So war es noch ein netter Abend.

Wer weiß, wann uns Frau Tschacher folgen musste, denn ein Dorf nach dem Anderen folgte uns.

03.02.1945

Als es am anderen Morgen weiter gehen sollte, traf ich noch eine gute Bekannte. Hanna Deutschmann war mit ihrem Gespann allein unterwegs. Schon ein paar Jahre führte sie das Gut zu Hause allein, während ihr Bruder an der Front stand. Was hatten wir uns noch alles schnell zu erzählen. Ihr, sowie unser Ziel, war Bautzen.

Dort wollten wir uns wieder treffen.

Aber darauf konnten wir uns ja gar nicht mehr verlassen, denn die Marschroute wurde doch dauernd geändert.

Wir fuhren nun, wie schon so oft, weiter.

Die Straßen waren frei vom Schnee, es fuhr sich sehr gut. Die Nacht blieben wir in Peschern, es war schon ein wendisches Dorf, und die Menschen waren doch schon etwas anders als wir. Wir schliefen wieder auf Stroh in der Küche. Es wollte uns erst gar nicht gefallen, waren wir doch noch etwas verwöhnt von Freiwaldau?

04.02.1945

Am 04.02., ein Sonntag, ging es gleich wieder weiter. Die Nacht hatte es wieder gefroren und es fing auch leicht an zu schneien. Am Nachmittag fuhren wir durch Weißwasser. Da die Straßen so schön trocken waren, fuhren wir Mädchen, fast alle, immer zusammen mit dem Rad. Wenn wir dann durch die langen Wälder fuhren, wurde ein Lied nach dem Anderen gesungen. Wie oft erklang da das Schlesierlied, „Kehr ich einst in meine Heimat wieder“.

Es war schon dunkel, da landeten wir in Nochten, dieses war ein rein wendisches Dorf. Da die Leute fast nur Wendisch sprachen, konnten wir sie kaum verstehen. Trotzdem es am anderen Morgen regnete, waren wir froh, dass wir wieder weiter fahren mussten.

05.02.1945

Nun ging es fast nur durch Wald. Da hatten wir mal wieder einen längeren Aufenthalt im Walde, es regnete aber auch in einem fort. Da schleppten wir Mädels uns Tannenreiser zusammen und im Nu war eine kleine Hütte entstanden. Als wir nun so gemütlich darunter saßen, krachte unser Prachtstück ein. Ein tolles Gelächter schallte von den Wagen zu uns herüber.

Uns war jedenfalls die Zeit schnell vergangen, und nun fuhren wir wieder weiter. Auf einem langen aufgeweichten Waldweg kamen wir am Abend in Altliebel an. Es war eine

landwirtschaftlich arme Gegend. Die Leute hier hatten noch nie Flüchtlinge gehabt und nahmen uns mit großer Freundlichkeit auf.

Wir sollten nun hier wieder ein paar Tage aussetzen. An ein Endziel glaubten wir schon gar nicht mehr.

Wir wurden gleich in der ersten Wirtschaft bei Hermann Mitschke untergebracht. Die Pferde mussten wir allerdings ein Gehöft weiter einstellen.

Wie gut wurden wir von Familie Mitschke aufgenommen! Ein guter Eintopf mit belegten Broten mundete uns gut.

Wir bekamen ein schönes großes Zimmer und konnten auch alle in Betten schlafen. Da wir für eine Zeit bleiben sollten, richteten wir uns etwas wohnlich ein. Ein paar nette Decken und Kissen, auch Bilder von den Lieben an der Front, gaben dem Zimmer einen heimatlichen Eindruck. Auch das Wetter war sehr schön, da startete auch schon die erste große Wäsche. Ebenfalls mussten die Betten gelüftet werden, denn vom vielen Regen waren sie ganz feucht.

08.02.1945

Am 08. musste Papa mit unserer Lotte zur Pferdemusterung nach Weißwasser. Er kam sehr spät wieder und brachte uns die Nachricht, dass er schon am anderen Morgen, mit noch mehreren Männern vom Treck, zum Volkssturm musste.

Das war für uns recht schwer, standen wir doch dann ganz allein mit dem Gespann in der Fremde. Aber es half ja alles nichts. Wir wollten ja auch gern Opfer bringen, damit unsere Heimat recht bald wieder frei werden sollte. Wenn das alles unser Heinz, der schon zwei Jahre als vermisst gemeldet war, wüsste. –

Am Abend übergab mir Papa die Pferde. Ich hatte mich früher wenig darum gekümmert. Lotte war tragend und voller Tücken. Vor dem alten Moritz hatte ich ja nichts zu befürchten. Am Morgen fuhr Papa mit den anderen Männern los, sie nahmen auch Pferde von unserem Treck mit.

Ich hatte nun die Verantwortung für die Pferde, unser letztes bisschen Heimat. –

Lotte schaute mich zuerst recht kritisch von der Seite an. Aber bald hatten wir Freundschaft geschlossen. Und sie waren froh, wen ich ihnen etwas Gutes zu fressen brachte. Aber scheinbar konnten sie das gar nicht mal vertragen. Denn wenn ich morgens zum Füttern und Putzen kam, hörte ich schon von Weitem lautes Wiehern und Poltern.

Da musste die erste Ausfahrt starten. Na, das erste Mal anschirren war auch so etwas. Denn als ich Lotte den Schwanzriemen rum machen wollte, quiekte sie und machte einen tollen Sprung. Ich versuchte es aber so lange, bis ich Erfolg hatte, denn blamieren wollte ich mich auch nicht.

Das war jedenfalls der Anfang, das nächste Mal ging schon ganz gut. –

Wir hatten uns auch schon sehr gut eingelebt. Die Ortsgruppe lag auf den einzelnen Dörfern verteilt.

Der Russe kam aber immer wieder weiter vor. Oft sah man abends einen blutroten Schein am Himmel, welche Stadt oder Dörfer hatten wohl wieder dran glauben müssen? Auch das Schießen klang abends recht schaurig.

16.02.1945

Am 16. hieß es nun wieder, wir müssen weiter. Auch Altlieben müsste gleich hinterher. Viele behaupteten sogar, wir wären schon von Russen eingeschlossen. Es wollte eigentlich keiner mehr weiter, denn das Herumziehen hatten wir alle gründlich satt. Viele hatten sich vorgenommen, einfach zu bleiben. Aber als sich am 16. der Treck in Bewegung setzte, fehlte auch keiner. An diesem Tage fuhren wir ununterbrochen, fast nur in der Heide. Es wurde schon dunkel und die Heide wollte und wollte kein Ende nehmen. Alles fragte den Treckführer, „wann kommt denn nun endlich mal ein Dorf oder ist die Heide unendlich?“. Es lag eine unheimliche Ruhe über dem Wald. Der Mond schien so schön durch die Äste, gerade als wollte er uns den Weg zeigen. Man hörte nur das gleichmäßige Räderrollen. Die Menschen waren alle still geworden. Wer schickt an solchem Abend auch nicht die Gedanken nach Haus? Endlich um 22 Uhr kamen wir in ein Dorf, Hermsdorf.

Als wir hier Unterkunft haben wollten, war alles schon belegt. Wir sollten nun noch mal weiter. Aber alles sträubte sich. Man hatte uns doch schon in zwei Dörfern weiter geschickt. Da wurde uns schließlich eine große Scheune frei gemacht, dort konnten wir die Pferde unterstellen. Die Wagen wurden im Garten aufgefahren. Das Schlimmste war wohl – die Pferde einstellen. Alles war dunkel, es war kein Licht in der großen Scheune. Es musste Pferd an Pferd gebunden werden, damit auch alle Platz hatten. Fast überall war ein Mann zu den Gespannen, die hatten natürlich ihre Pferde schnell angebunden. So stand ich, Gott sei Dank, mit unseren Pferden noch allein draußen. Es schien tatsächlich kein Platz mehr zu sein. Aber nach langem hin und her wurde doch noch ein Eckchen an der Tür frei. Da fehlte wieder ein Haken zum Anbinden. Als wir den glücklich hatten, da schlugen sich Bestien, dass einem Angst werden konnte. Also wurde auch noch ein Flankierbaum gesucht. Ich glaube, die Nacht werden Mama und ich nie vergessen.

Ja, die Pferde waren untergebracht, wo gingen wir denn nun in der Nacht hin? Wo waren denn aber auch die Anderen so schnell hin verschwunden?

Wir holten nun erst mal Gerda und Adolf, die schon längst auf dem Wagen eingeschlafen waren. Mit etwas Proviant trödelten wir ins Gasthaus. Hier saßen auch schon viele von uns, aber wie! – Zwei immer auf einem Stuhl und viele hatten sich einfach auf die Erde gelegt. Wir bekamen aber doch etwas heißen Kaffee und konnten unsere Brote dazu essen. Adolf und Erich Werner zogen es aber doch vor, lieber bei den Pferden im Heu zu nächtigen.

Für uns war es eine furchtbare Nacht. Die Füße konnte man aber doch etwas ausruhen, und man fror doch nicht mehr so.

Der ganze Treck zog es vor, am Morgen Hermsdorf so zeitig wie möglich wieder zu verlassen.

17.02.1945

Es wurde aber nur bis Mittag gefahren und in Steinitz wollten wir einen Tag ausspannen. Eine Stunde mussten wir allerdings vor dem Dorf warten, denn ein anderer Flüchtlingstreck musste erst das Dorf räumen.

Wir bezogen nun zusammen mit Familie Werner (bei Marko) unser Quartier. Der nächste Tag, unser vorgesehener Ruhetag, war ein Sonntag, und Herr Werner hatte Geburtstag. Der sollte nun, trotz der schweren Zeit, etwas feierlich begangen werden. Noch am Sonnabend gingen Frau Werner und ich daran, Kuchen zu backen. Und siehe, es entstand, fern von zu Haus, der erste Streusel- und Mohnkuchen. Abends nahm mich Herr Werner nun auch noch

mit ins Gasthaus, um Geburtstagsbier für die ganze Familie zu holen. Alles war voll mit Soldaten, es war gar nicht möglich, Bier mit zu bekommen. Da stellten wir einfach den Krug unter den Tisch, Herr Werner bestellte eine Runde nach der Anderen, und alles verschwand geheimnisvoll in unserem Krug. Dieser wurde unter den Mantel gesteckt – und ab ging´s.

Umsonst hatten wir uns auf den ruhigen Sonntag gefreut. Das Dorf musste für die Wehrmacht geräumt werden. So mussten wir mittags wieder auf die Landstraße. Das sauer erworbene Bier blieb nun zum Teil tatsächlich noch stehen, und der schöne Kuchen wurde eingepackt und mit auf die Wanderschaft genommen.

18.02.1945

Es war ein sehr schöner sonniger Sonntag. Unterwegs trafen wir Soldaten, die in Rosenthal gelegen hatten. Viel Neues konnten sie uns auch nicht erzählen, denn sie schienen uns auch recht bald gefolgt zu sein.

An diesem Nachmittag wurde nur bis 16 Uhr gefahren und in Liebegast, wieder ein echt wendisches Dorf, Halt gemacht.

Mit Familie Werner blieben wir zusammen und wurden gleich in einem der ersten Gehöfte untergebracht. Abends gingen wir zeitig zur Ruh, schnell war das Nachtlager auf dem Fußboden aufgeschlagen. Ohne Stroh, es war ja ein bisschen hart, aber es ging. Wir schliefen wohl noch gar nicht lange, da begann ein unheimliches Donnern und Dröhnen. Die Flieger mussten wieder einige Städte mit Bomben zugedeckt haben. In Liebegast blieben wir dann noch einen Tag.

19.02.1945

Am 20. gegen Mittag sollte es wieder weiter gehen. Da starb Herr Hoffmann. Man hat ihn gerade in den Wagen gesetzt. Es verging nun noch eine Zeit, bis man den Toten wieder ins Quartier geschafft, und alles geregelt hatte. Die Angehörigen mussten nun ruhig ihren toten Vater der Fremde überlassen. Was galt auch noch ein Menschenleben?

An diesem Nachmittag war wieder herrlicher Sonnenschein. Die Straßen waren so schön trocken, und die Sonne wärmte für den Monat Februar schon fast allzu sehr.

An diesem schönen, sonnigen Nachmittag war mir so feierlich zumute. Die Straße, auf der unsere Wagen rollten, lag erhöht. Etwas im Tal lagen die stillen Dörfer, die Saaten waren schon so schön grün. Es fehlte nur noch, vom Dorfe her, das Glockengeläut.

20.02.1945

Es wurde wieder bis spät gefahren. Grünwald bot uns ein Nachtlager. Die Pferde wurden in einer Schäferei untergestellt und wir schliefen im Kindergarten. An diesem Abend kamen auch einige Volkssturmmänner zurück. Von Papa wusste aber Keiner etwas.

21.02.1945

Am Morgen regnete es tüchtig, wir mussten aber trotzdem weiter. Wieder fuhren wir durch eine endlose Heide. Es begegneten uns mehrere Trupps marschierender Soldaten. Trotz des Regens sangen sie kräftig und lächelten uns ermutigend zu.

Als wir abends in Grünewalde landeten, hatte der Regen nachgelassen. Wir wurden im Gasthaus, das schon mit Soldaten vollgestopft war, untergebracht.

Hier war der Futtervorrat für die Pferde erlöscht. Da bekamen wir abends noch in der Mühle Hafer zugeteilt. Heu musste sich jeder selbst besorgen. Da zog ich am Morgen gleich zeitig mit einem Sack unter dem Arm los. Paar Mal bekam ich ja einen Korb, da traute ich mich schon gar nicht mehr zu fragen. Aber was nützte das, die Pferde verlangten ihr Recht!

Zum Lachen war es, wenn ich mit Gerdl los ging. Dann zankten wir uns erst eine Viertelstunde draußen, bevor eine den Mut aufbrachte und hinein ging.

22.02.1945

Wieder regnete es leicht, als wir Grünewalde den anderen Tag verließen. Es hörte aber bald wieder ganz auf. Elsterwerda war heut unser Ziel. Allerdings mussten wir abends lange auf dem Marktplatz stehen, bis man sich entschloss, uns anzunehmen.

Außerhalb der Stadt wurden wir dann glücklich untergebracht.

Als wir in unser Quartier kamen, überredete mich gleich ein Mädchen in meinem Alter, doch mit ihr ins Kino zu gehen. „Annelie“ wurde gegeben. Ich habe es auch nicht bereut, dass ich mit ihr gegangen bin.

Am nächsten Tag sollte eigentlich ausgesetzt werden. Aber es wurde bald wieder umbestellt. Die Straßen waren von dem Regen recht schmutzig. Wir fuhren in Richtung Hoyerswerda.

Wieder sehr viel Wald. Gerda fuhr mit dem Rade uns immer weit voraus. Mit einem Mal kam sie ganz außer Atem zurück und rief: „Ich habe den Onkel Fritz getroffen, vorn fährt der Neugabler Treck!“ Das war für uns eine unverhoffte, große Freude. In Hoyerswerda auf dem Marktplatz hielten nun beide Trecks.

Wir konnten hier warme Suppe empfangen. Da hatten wir etwas Zeit, mit unseren Verwandten ein paar Minuten zusammen zu sein. Was gab es in der kurzen Zeit nicht alles auszutauschen! Vorausgesehen sollten wir in einem Dorf übernachten. Der Neugabler Treck fuhr aber schon vor uns aus Hoyerswerda.

Als wir abends in das Dorf kamen, wo der Neugabler Treck Quartier bezogen hatte, war alles belegt und wir mussten noch einige Dörfer weiter. Umsonst hatten wir uns auf das schöne Zusammensein gefreut. Noch viele Dörfer waren schon mit Flüchtlingen belegt. So kamen wir sehr spät in Altenau an. Das war nun schon Sachsen.

23.02.1945

Hier wurde wieder ein paar Tage ausgesetzt. Diese Tage regnete es wieder. Unser Wagen stand draußen auf dem Hof, alles war schon aufgeweicht. Trotzdem wir auf einem großen Gut waren, schien keine Möglichkeit, den Wagen unterzubringen. Als es am zweiten Tag noch immer regnete, räumte ich allein einen Schuppen aus, und der Wagen konnte mit einem Mal unter einem Dache stehen. Aber in einer Futterküche durften wir uns sogar baden.

25.02.1945

Am 25., einem Sonntag, fuhren unsere Verwandten durch Altenau und bestellten uns durch Pfisterers noch mal Grüße. An diesem Sonntag fuhr auch Hertha Wenzel mit dem Rade nach Hohenlauft. Dort traf sie ihren Vater, der ebenfalls die Verwandten besuchte, um von

uns etwas zu erfahren. Denn schon länger waren sie vom Volkssturm entlassen und fuhren mit dem Wagen in der Gegend herum, um ihre Angehörigen endlich wieder zu finden. Als Hertha am Montag zurückkam und auch uns die Nachricht brachte, dass Papa auch bald bei uns sein wird, war die Freude natürlich übergroß.

26.02.1945

Am Montag fuhren wir nun wieder aus Altenau. Alle, die Volkssturmmänner erwarteten, konnten nicht schnell genug weiter kommen.

Hertha und ich fuhren nun mit den Rädern voraus, denn wir wollten ihnen unsere Marschroute mitteilen, damit wir uns nicht noch mal verfehlen konnten. Es war abgemacht, dass bei Riesa die Elbe überquert wird. Mama nahm die Pferde und bei starkem Wind fuhren wir los.

Mittags waren wir ganz durchgeschwitzt in Ostrau auf dem Markt. Da kamen uns auch schon bärtige Volkssturmmänner mit Gebrüll entgegen. Papa und Herr Wenzel nahmen nun gleich unsere Räder und fuhren dem Treck entgegen.

Wir setzten uns nun mit auf den Wagen und fuhren auch unserem Treck wieder entgegen. Ganz entsetzt schauten uns die Leute nach, als sie zwei Mädchen mit so viel alten Männern auf dem Wagen sahen.

Es wurde schon Abend, aber von unserem Treck war keine Spur. Die Männer glaubten schon, nun müssten sie mit uns durch die Gegend schaukeln, und den Treck mit ihren Frauen haben wir wieder verfehlt.

Da endlich kam Herr Wenzel! –

Unser Treck war nicht wie vorausgesehen in Riesa über die Brücke gekommen, sondern wegen Fliegerangriff, über eine Notbrücke. Dies hat natürlich viel Zeit in Anspruch genommen. Und nach langem Suchen haben sie den langgesuchten Treck doch gefunden. Papa konnte nun gleich wieder die Zügel in die Hand nehmen. Wie froh waren wir alle darüber, denn wir mussten ja immer mehr Bekanntschaft mit den sächsischen Bergen machen, denn eine Schleife hatte keiner am Wagen.

27.02.1945

Spät am Abend in Bornitz hatte jede Familie ihren Volksstürmler wieder. Wir wurden bei einer Familie Hennig, sehr netten Leuten, gut aufgenommen.

Sehr viele Soldaten waren hier schon untergebracht. Wir waren mit Familie Fröhlich zusammen. Die erste Nacht wieder mit Papa zusammen, lange konnten wir nicht einschlafen, viele Erlebnisse mussten noch ausgetauscht werden.

Dass wir immer alle in einem Zimmer schlafen mussten, störte schon Keinen mehr. Es gab sogar oft abends, beim Nachtlager bauen, viel Spaß. Und lange noch im Dunkeln, wurde geplaudert. Wenn aber einer von zu Haus anfing, dann wurde alles ganz still.

28.02.1945

Am anderen Tag blieben wir bis Mittag und fuhren bis Mügeln. Wir kamen hier schon am späten Nachmittag an. Die Wagen wurden wieder auf dem Markt, Reihe an Reihe, aufgefahren. Die Meisten mussten in der Fabrik übernachten. Wir besorgten uns aber allein

ein Quartier und konnten mal wieder in Betten schlafen. Auch am anderen Morgen, den

01.03. musste gleich wieder aufgebrochen werden.

01.03.1945

Die Berge wurden aber immer steiler. So blieb ich zurück und ließ in der Schmiede einen Hemmschuh machen. Es war jetzt immer so ein starker Sturm, dass ich dem Treck kaum mit dem Rade folgen konnte. Viele Schindeldächer, die uns ganz neu waren, hatte der Sturm abgedeckt. Den Kindern wieder waren die vielen hohen Berge neu. Zumindest mussten sie erklettert werden.

Fröhlichs fuhren mit ihrem Wagen hinter uns. Marthel hatte am 1. März Geburtstag. Ich sah in einem Garten ein paar Schneeglöckchen. Da erbat ich mir von den Leuten welche. Als ich diese der Marthel brachte, war die Freude groß. Die ersten Blumengrüße, mitten auf der Straße. Es war kurz vor Fischendorf. Als wir nun nach Fischendorf kamen, floss rechts die Mulde und oben, wie auf einem Felsen, lag Leisnig. Wir hatten hier längeren Aufenthalt, da einige, die ältere Pferde hatten, hier untergebracht wurden.

Es fing leicht zu schneien an. Ich stand lange und schaute mir Leisnig an. Noch nie hatte ich unterwegs eine so schön gelegene Stadt gesehen.

Die Wagen rollten weiter. Wir waren ja alle neugierig, wo wir nun hin sollten, denn zwei Tage sollte ausgesetzt werden. Zu gern wären wir Mädchen alle in Fischendorf geblieben. Denn Leisnig hätten wir alle gern einmal näher gesehen.

Es kam nun ein Berg nach dem Anderen und der Wind wehte eisig über die Felder. Da endlich wurde in Zollschwitz halt gemacht. Einige Wagen mussten bis Hetzdorf weiter fahren. Wir kamen zu Familie Arno Sauer. Bei ihnen wurden wir sehr freundlich aufgenommen, auch sehr gut bewirtet. Nachts wurde es uns bald unheimlich im Bett. Denn der Sturm hauste, als wolle er das ganze Haus mitnehmen. Waren das die sächsischen Winde?

02.03.1945

Am anderen Tag habe ich gleich Wäsche gewaschen. Denn wenn wir noch bis nach Bayern sollten, musste jeder längere Aufenthalt ausgenutzt werden. Auch konnten wir uns hier sehr schön baden, was uns wirklich mal gut tat.

03.03.1945

Am 03.03. mussten wir aber Zollschwitz wieder verlassen. Eine große Tüte Äpfel, und wir sollten doch recht bald schreiben, begleiteten uns.

Nun fuhren wir den Weg wieder zurück bis Fischendorf. Dort schlossen sich die zurückgebliebenen Wagen wieder an. Nach einem kleinen Aufenthalt ging’s über die Muldenbrücke. Ehe einen aber die Stadt Leisnig aufnahm, musste man erst einen furchtbar langen Berg hinauf. Als wir grad oben waren, setzten die Sirenen mit einem fürchterlichen Geheul ein. Alles musste in Deckung gehen und zwei Stunden mussten wir auf die Entwarnung warten. Dann fuhren wir ganz durch Leisnig hindurch, bis zum Kreuz. Dort war eine Streckleitstelle, diese wies uns nach Nauhain – Wendishain.

Aber bevor es weiter ging, tranken wir erst heißen Kaffee. Denn der eisige Sturm hatte noch immer nicht nachgelassen. Auch schneite es ab und zu. Dann kamen wir an der Stadt

Hartha vorbei. Selma Pfisterer kam noch zu mir gelaufen und sagte, „sieh doch bloß mal, wie schön dieses Städtel da liegt“.

Nun kamen wir in Nauhain an. Da wir zuerst und dann Fröhlichs fuhren, konnten wir gleich in das erste Gut hinein fahren. Papa war schon vorher drin und sagte, der Chef wäre sehr freundlich. Auch hier sollte für uns ein paar Tage Ausspannung sein.

Als wir in den großen Hof hinein fuhren, kamen gleich zwei Franzosen und halfen uns ausspannen. Die Wagen wurden in die Scheune geschoben. Da war eine Frau noch eifrig dabei und harkte alles sauber. Als wir nun ins Haus kamen, kam uns ein junges Mädchen entgegen und brachte uns nach oben. Ein sehr großes Zimmer nahm uns auf. An der Wand hing ein sehr schöner, wohl für uns passender Spruch. Alle standen wir davor. Und Frau Fröhlich las laut,

„Ob alles man dir raube, verzage nicht und glaube.“

Ließ uns nicht auch der Glaube, an unsere liebe Heimat, alles viel leichter ertragen? Hofften wir nicht alle, dass der Krieg bald mal ein Ende hat und wir alle in unsere Heimat wieder zurückkehren dürfen?

Wir kochten uns nun erst mal Kaffee. Dann ging es an das Betten bauen, einige Matratzen bekamen wir, die übrigen Betten ergaben Strohsäcke.

Sieben Betten hatten wir nun in einer Reihe auf den Fußboden gebaut. Abends aßen wir Pellkartoffeln, die uns nach langer Zeit wieder mal gut schmeckten. Abends machte uns der Zschaage mit Säuglingen, die aussahen wie Ratten (Bieber Jungtiere) bekannt. Auch Frau Zschaage besuchte uns. Dann kam noch eine alte Frau, die nur Anna genannt wurde.

04.03.1945

Am nächsten Tag fällt wieder sehr viel Schnee, es wird tatsächlich wieder Winter. Es startete nun gleich wieder große Wäsche, denn fünf Tage sollte unser Aufenthalt in Nauhain dauern. An diesem Tage kam Frau Zschaage, mit einer Familie Walch, auch Flüchtlinge nach aus Toren, nach Nauhain. Denn Chemnitz war das tägliche Angriffsziel der Terrorflieger.

05.03.1945

Am 05. März abends, wir hatten uns noch gar nicht lange hingelegt, da war auch schon wieder Fliegeralarm. Wir wollten erst gar nicht aufstehen, denn Angriffe waren uns neu. Als wir aber die Feindflugzeuge über uns hörten, gingen wir doch nach unten. Draußen sah man einen blutroten Schein über Chemnitz, Christbäume fielen, das Surren der Flugzeuge hörte gar nicht auf, aus Ferne glich das Ganze einem schönen Schauspiel. Aber dazu war die Lage wohl zu ernst. Denn wie viele haben wieder in dieser Nacht ihr Heim, ja sogar ihr Leben, hingeben müssen!

Zur Silberhochzeit unserer Eltern am 29.09.1948 in Nauhain

Ein Vierteljahrhundert ist heute vergangen, seit ihr miteinander habt angefangen den Ehestand.

Mit Gottvertrauen und deutschem Mute, wurdet ihr Besitzer von Vaters Gute im Posener – Land. Zwei Jahre habt ihr zusammen dort schaffen können, da sprach das Gesetz: „ihr müsst euch trennen von Hof und Haus!“ Nach Rosenthal im Schlesierlande, der neuen Heimat am Oderstande, zogt ihr hinaus!

Dort habt ihr wohl 20 Jahre gesessen, euer Brot erbaut und in Frieden gegessen in deutscher Hut.

Da war auch alles so sonnig und klar, weil es die Heimat von uns Kindern war, – bis der furchtbare Krieg brach aus und unser Großer zog tapfer hinaus

in Feindesland.

Doch des Führers größenwahnsinnige Träume, trieben in uferlos – weltweite Räume das deutsche Blut!

Da kam eine Nacht voller Angst und Schrecken: „Weh uns, der Feind droht an allen Ecken!“

„Auf, auf zur Flucht!“

„Nach Westen, nach Sachsen woll´n wir uns retten, dort können wir noch in Ruhe uns betten vor Feindwut und Wucht!“

So wurdet ihr schließlich mit Pferd und Wagen, nach Nauhain, an der Mulde, verschlagen – nun heimatlos!

Hier seid ihr neuheimisch seit vielen Tagen und müsst miteinander weiter tragen, das Flüchtlingslos.

Soll´n wir nun klagen am Jubeltage, dass euch zuteilwird nur Angst und Plage statt Glück und Glanz?

Dass euch die Hoffnung hat betrogen, mit der ihr seid zum Traualtar gezogen am grünen Kranz?

Vergänglich, ach! – sind die Schätze der Erde, die uns das Glück und die Arbeit gewährte, ist Gut und Geld!

Doch es gibt Güter, die nicht vergehen, Schätze, die nicht mit als Staub versehen, wenn alles zerfällt: Das ist die Vater-und Muttertreue,

das ist die Liebe, die täglich auf´s Neue die Gatten vereint.

Das ist die Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, wo Eins wie das Andere, so heute als gestern es treu mit uns meint! Wo wir in Liebe verbunden bleiben,

ist unsere Heimat! Aus ihr kann uns treiben kein Krieg und kein Feind!

Dank euch, ihr Eltern, dass ihr mit dem Leben, uns habt solche Heimat der Liebe gegeben, aus der Niemand uns treibt!

Dass wir mit all unserm Suchen und Sorgen, uns wissen in unserem Zuhause geborgen, das immer uns bleibt!

Wie im Mondlicht der Fluss, als ein silbernes Band, durchzieht das nächtlich verdunkelte Land,

so zieht durch die Jahre Alltagsgetriebe, sich das Silberband eurer Treue und Liebe!

Wie im Mondlicht der Birken Blätter silbrig flimmern, seh´n wir durch all euer Wirken, die Liebe schimmern!

So tragt in Ehren den silbernen Kranz und Strauß! Gott segne euch weiter und mit euch das ganze Haus!

Feiger Gedanke, Bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, Ängstliches Klagen, Wendet kein Elend, Macht dich nicht frei

Allen Gewalten, Zum Trotz sich erhalten, Nimmer sich beugen, Kräftig sich zeigen,

Rufet die Arme der Götter herbei.

Goethe

Gut verloren  –  viel verloren; Mut verloren –  mehr verloren; Ehre verloren –  alles verloren;

Echtes ehren! Schlechtes wehren! Schweres üben!

Schönes lieben!

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.

Goethe

Wenn alles man dir raube, verzage nicht und glaube!

Lass uns der Armen nicht vergessen, durch Hilfe sie, durch Prost erfreu´n, Lasst uns im Glücke nicht vermessen und nicht verzagt im Unglück sein.

Aheinger

Es kommt im Leben allein darauf an, dass man weiß, Gott hat mich hierher gestellt und Gott hat damit ein Bestimmtes im Plan. Gott will immer durch uns eine Tat tun, es kommt nur darauf an, dass wir ihm bereit sind, nie darauf – wo unter welchen Umständen und Lebensformen wir leben und wirken.

Orte:

Rosenthal Carolath Reinberg Schönaich Sprottau Litzmannstadt Hohenborau Leuthen Warthegau Beuthen Neumühle Nettschütz Großenborau Etzdorf Halbau Freiwaldau Peschern Weißwasser Nochten Altliebel Hermsdorf Steinitz Rosenthal Liebegast Grünwald Grünewalde Hoyerswerda Altenau

Riesa Ostrau Bornitz Mügeln Fischendorf Zollschwitz Leisnig Hartha Nauhain

Elli Martens, geb. Wellner (1924 – 2017)

Elli absolvierte anschließend in Paudritzsch eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Danach zog sie das Leben weiter durch Deutschland.

Im Pfarrgut Kroppach in Schrebitz / Mügeln, arbeitete sie als Hauswirtschafterin bei einem Witwer mit kleiner Tochter. Danach folgten weitere Beschäftigungen als Hauswirtschafterin im Rittergut Börtewitz, in einem Leipziger Krankenhaus, in einer Wollfabrik und in einem Kinderheim in Kelkheim bei Frankfurt am Main.

In Höhne (Niedersachsen) fand sie ihre endgültige neue Familie und Heimat.

Zu den zwei Pferden, Lotte und Moritz, kann man noch erwähnen; Moritz war schon sehr alt und lebte nicht mehr lange.

Lotte war während der Flucht tragend. In Nauhain verfohlte sie. Sie wurde daraufhin in Paudritzsch neu gedeckt und bekam dann noch zwei Fohlen. Eins brachte Gerdl mit in ihre Ehe ein, das Andere wurde für Adolf verkauft.

Februar 2021

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